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Integrativ- aber nur auf dem Papier

Man hört so oft von der integrativen Schule. Von Chancengleichheit, Inklusion, Vielfalt.

Doch wenn man selbst ein Kind hat, das anders denkt und fühlt, merkt man schnell, dass vieles davon nur auf dem Papier existiert.


Mein Kind ist neurodivers, autistisch. Es fällt nicht negativ auf, stört keinen Unterricht, macht einfach sein Ding ruhig, sensibel, in sich gekehrt. Und genau das scheint das Problem zu sein: Kinder, die nicht laut um Hilfe rufen, gehen im System unter.


Nach dem Wechsel vom ersten zum zweiten Kindergarten hätte es nur wenig gebraucht. Ein bisschen Empathie. Ein bisschen Verständnis dafür, dass Übergänge für autistische Kinder schwierig sind. Wir Eltern haben früh gesagt, was nötig wäre. Auch die Psychologin des Kindes hat darauf hingewiesen. Doch niemand wollte wirklich zuhören.


Was folgte, war ein schleichender Rückzug. Erst einzelne Tage, dann ganze Wochen, schliesslich blieb das Kind monatelang zu Hause. Es gab keine rechtzeitige schulpsychologische Abklärung, keine Begleitung, kein Plan. Niemand fühlte sich zuständig.


Erst nach mehr als vier Monaten kam der Bericht, der bestätigte, was längst klar war: Das Kind hat Anspruch auf Unterstützung. Doch anstatt zu helfen, entschied die Schulbehörde, es einfach in eine andere Schule zu versetzen weit weg, ohne Bezugspersonen, ohne Freunde. Jeden Tag ein Taxi, eine fremde Umgebung, neue Gesichter. Für ein autistisches Kind ist das keine Lösung, sondern eine Zumutung.


Wir Eltern wehrten uns. Nicht, weil wir Schwierigkeiten machen wollten, sondern weil wir das Gefühl hatten, dass niemand auf das Wohl des Kindes schaut. Der Rekurs zog sich hin. Am Ende wurde er aus formalen Gründen abgewiesen das Kindergartenjahr war vorbei. Doch im Entscheid stand etwas, das uns bestätigte:


Es geht nicht an, ein Kind für das engagierte Verhalten der Eltern zu bestrafen.

Die Versetzung war nicht im Interesse des Kindes und damit rechtswidrig.


Wenn Eltern sich rechtlich nicht auskennen, ist so ein Weg fast unmöglich zu bewältigen.

Ich hatte das Glück, die Rechte gut zu kennen und mich wehren zu können.

Aber selbst das war kein Zuckerschlecken jeder Schritt war ein Kampf, jeder Brief ein Stück Arbeit gegen die Müdigkeit und den Zweifel.


Für die Einschulung hat uns die Schulbehörde schliesslich gefragt, wo wir unser Kind einschulen möchten. Wir haben klar gesagt: Zurück in seinen Schulkreis.

Hier gibt es zwei mögliche Schulen – A oder B –, und uns war völlig egal, welche davon es wird. Entscheidend war nur: Er soll zurück mit seinen ehemaligen Kindergartenfreunden.


Denn er leidet sehr unter der Trennung von diesen Kindern. Das wurde auch in einem ärztlichen Gutachten so festgehalten: Das Kind leidet emotional deutlich unter der sozialen Trennung.


Wir haben alles schriftlich dokumentiert und eingereicht sachlich, begründet, mit Nachweisen.

Kurz darauf kam die Bestätigung: Das Kind werde in seinen ursprünglichen Schulkreis zurückkehren.


Wir atmeten auf.

Doch dann, Wochen später, kam die bittere Überraschung: Die Schulbehörde teilte das Kind erneut nicht nur in eine andere Klasse, sondern in eine komplett andere Schule ein getrennt von sämtlichen vertrauten Kindern. Niemand hatte uns gesagt, dass dort kein einziger Freund aus dem Kindergarten oder aus der vorherigen Schule sein würde.


Hätte man uns bei der Einschulung offen informiert, dass das Kind in eine völlig andere Schule geschickt werden soll, hätten wir es selbstverständlich bis zum Ende des laufenden Verfahrens in der bestehenden Schule belassen. So aber wurde es erneut herausgerissen – ein zweites Mal innerhalb von nur sieben Monaten.


Für ein neurotypisches Kind wäre das schon schwer zu verkraften.

Für ein neurodiverses Kind, wie meines, ist es noch um ein Vielfaches härter.

Es bedeutete eine weitere Isolation wieder getrennt, wieder neu anfangen, wieder ohne vertraute Gesichter.


Und das mit denselben Argumenten, die schon bei der ersten Versetzung verwendet worden waren.

Daraufhin entschied der Bezirksrat, dass genau diese Querversetzung nun neu beurteilt und verfügt werden muss.

Der Fall ist also noch nicht ganz abgeschlossen.



Heute sehe ich klarer, wie das System funktioniert oder eben nicht funktioniert.

Integration bedeutet offenbar: so lange willkommen, wie man nicht zu viel Aufwand macht.

Kinder, die unauffällig sind, fallen durch jedes Raster. Eltern, die Fragen stellen, gelten als schwierig.


Aber es braucht Menschen, die hinschauen.

Denn hinter jedem „Fall“ steckt ein Kind, das einfach dazugehören möchte.

Und Eltern, die nie aufhören, daran zu glauben.


Annabel F.

 
 
 

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